Jos (Humpiss) von Ratzenried

Von Berthold Büchele 

Wohl eine der bedeutendsten Persönlichkeiten in Ratzenried war Jos Humpiss. Er hatte beste Beziehungen zu Kaiser Maximilian, errang von ihm mehrere Privilegien wie z. B. die Hochgerichtsbarkeit und den Adelstitel und führte Ratzenried in die Reichsunmittelbarkeit. 

Jos Humpiss wurde um 1460 in Ravensburg als Sohn des dortigen Bürgermeisters und Regierers der Ravensburger Handelsgesellschaft, ebenfalls mit Namen Jos Humpiss, geboren. Sein Vater hatte 1453 das St. Gallische Lehen von Ratzenried um 5800 fl. von Walter v. Hirnheim erworben und 1454 von Kaiser Friedrich III. die Niedere Gerichtsbarkeit in der Pfarrei Wetzelsried (Ratzenried) erhalten. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1482 übernahmen die Söhne Jos und Jacob Humpiss das Ratzenrieder Erbe. Vermutlich lebten sie seit dieser Zeit auf der Burg Ratzenried, denn sie nannten sich nun „Humpiss von Ratzenried“. Nachdem 1488 auf Drängen Kaiser Friedrichs der Schwäbische Bund gegründet worden war, trat Jos zusammen mit der Reichsstadt Wangen dem Bund bei. Vielleicht in diesem Zusammenhang dürfte der erste Kontakt zwischen dem Kaiser und Jos Humpiss entstanden sein. 1490 jedenfalls nahm Kaiser Maximilian bei Jos Humpiss Geld auf. Zusätzlich bot Jos dem Kaiser 1492 „fünf wohlgerüstete Pferde und sich selbst zum Dienst an gegen einen Jahreslohn von 100 fl. Dies zeigt, dass der Sohn des reichen Ravensburger Kaufmanns nicht in die Fußstapfen seines Vaters trat, sondern eine politische und militärische Laufbahn einschlagen wollte. 

Kaiser Maximilian verlieh deshalb als Belohnung für die „treuen und nützlichen Dienste, so sie (Jos und Jakob) …in mannigfaltiger Weise getan haben und hinfür inkünftig wohl tun mügen und sullen“, den Brüdern Humpiss am 4.7. 1495 „die besunder Gnad und Freyheit, bey ihrem Schloss Ratzenried ein Halsgericht, Stock und Galgen aufzurichten und den Pan über das Plut daselbs zu richten.“ Damit war es den Humpiss gelungen, ihren Ratzenrieder Herrschaftsbereich aus der Grafschaft Eglofs, zu der Ratzenried früher gehört hatte, endgültig herauszulösen und staatsähnliche Privilegien zu erhalten, die sonst nur die umliegenden Reichsstädte besaßen. Am 10.10. 1495 erhielten die Brüder ein weiteres kaiserliches Privileg, die Befreiung von fremden Gerichten. Damit war in Rechtsstreitigkeiten nur der Kaiser zuständig, war Ratzenried reichsunmittelbar geworden. Seit dieser Zeit und bis zum Ende des Kaiserreiches wurden bei jeder Lehensbestätigung jeweils 2 Kaiserurkunden ausgestellt: die Bestätigung der Hoch- und Niedergerichtsbarkeit und die gerichtliche Exemption. Graf Hug von Montfort, der Inhaber der Grafschaft Eglofs, versuchte diese Privilegien zu verhindern, doch nach einem großen Prozess vor dem Reichskammergericht ab 1496 wurden diese in einem Vertrag von 1498 bestätigt. 

Nachdem Jos und Jacob Humpiss schon 1490 mit Wissen des St. Galler Abtes eine Erbteilung beschlossen hatten, folgte 1498 die Teilung des Ratzenrieder Lehens, indem die Brüder die St. Gallischen Lehenshöfe, Rechte und Einkünfte unter sich aufteilten. Jos Humpiss erhielt das alte Burgschloss Ratzenried (in der Folge „Oberes Schoss“ genannt), während Jacob im Dorf Wetzelsried ein neues Schloss, das sog. Untere Schloss, baute.

Jos Humpiss ließ im Anschluss an diese Erbteilung um 1500 sein Schloss um 11.000 fl. renovieren. Wenn man die Kaufsumme von 5800 fl. im Jahr 1453 für die Burg und die Höfe mit der stattlichen Renovierungssumme von 11.000 fl. vergleicht, wird klar, wie grundlegend die Modernisierung der Burg gewesen sein muss. Seither galt die Burg Ratzenried als größte Dienstmannenburg des Allgäus und vielleicht als eine der größten Burgen in ganz Oberschwaben. Zahlreiche Ofenfragmente zeugen davon, in welchem Luxus Jos Humpiss auf der Ratzenrieder Burg lebte. 

1499 brach der sog. Schwabenkrieg aus, bei dem die Schweizer Eidgenossenschaft gegen die Habsburger und dessen Hauptverbündeten, den Schwäbischen Bund, kämpfte. Wangen und damit auch Jos Humpiss von Ratzenried war mit 3 Pferden und 50 Fußknechten beteiligt. In einem Gefecht in der Nähe von Feldkirch kämpfte neben Graf Hug v. Montfort und Truchsess Hans von Waldburg auch Jos Humpiss. 

Mit dem Kauf von Burgen durch die Humpiss im 15. Jh., mit der Gründung von Herrschaften und der Erlangung kaiserlicher Gerichtsprivilegien scheint von Anfang an ihr Streben verbunden gewesen zu sein, in den Adelsstand aufzusteigen. Wie das folgende Zitat beweist, galt es als bürgerlich und eben nicht dem Adel entsprechend, in der Stadt zu wohnen. „Etlich Humpiss hie zu Rauenspurg, die in birgerlichem Wesen sitzen….,, hab ich (d.h. Jos Humpiss) mit viel Ansuechen aus der Stadt Rauenspurg bringen können, das sy auf das Land ziechen…, dann (denn) edel zu sein und in den Stetten zu sitzen, wil im Lannd Schwaben unnder dem Adel nit der Brauch sein….“

Nachdem sich die Humpiss seit 1453 anfangs noch „von Ravensburg“, seit ca. 1480 „von Ratzenried“ schrieben, beantragten Jos und Jacob Humpiss 1496 beim Kaiser eine Wappenänderung und 1513 die Erhebung in den Adelsstand „So (hab ich) von ir Majestät erlanngt zwo Freihaiten dergestalt, die Endrung der Wappen unnd auch des Namens zwischen mir unnd den Huntpiss zu Rauenspurg…“ Durch die Wappenänderung fügten die Humpiss „den weißen Hunden eine Sonn, alß das Wappen deß abgestorbenen Geschlechts von Ratzenriedt bey…“ Das Wappen war seither viergeteilt: im ersten und vierten Feld je drei laufende weiße Hunde auf schwarzem Grund, im zweiten und dritten Feld je eine rote Sonne mit blauen Strahlen. Auf diese Weise versuchten die Humpiss, sich als Fortführer des uralten Ratzenrieder Ortsadels darzustellen. 

1513 beantragte Jos Humpiss beim Kaiser die Erhebung in den Adelsstand mit der Begründung, er habe „30 Jahre dem Kaiser gedient“, sei ihm „in Ehren und Kriegen nachgezogen“ und habe sich „diese Privilegien für die eigenen Gerichte verdient“. Seit dieser Zeit ließen sie „den Nahmen Hundbiß fahren…“ und nannten sich nur noch „von Ratzenried.“ Der Aufstieg zum Adel spiegelt sich auch in den ehelichen Verbindungen der Humpiss wider. Während sie sich vor 1500 fast nur mit Patriziern verheirateten, taten sie dies nach 1500 nur noch mit Töchtern aus alteingesessenem Adel. Gleichzeitig mit dem endgültigen Austritt aus dem Ravensburger Bürgerrecht, spätestens jedoch zum Zeitpunkt ihrer Erhebung in den Adelsstand, wurden die Humpiss in die Ritterschaft in Schwaben aufgenommen. 

Ähnlich wie Kaiser Maximilian die Rolle des „letzten Ritters“ spielte, dürfte auch Jos Humpiss sich als „letzte Ritter“ gebärdet haben, indem er vom reichen Kaufmannssohn zum „Ritter“ wurde, sich adlige Privilegien erwarb und seine Burg zum modernen und prunkvollen Burgschloss ausbaute, um hier seine Rolle würdig leben zu können. Waren die Humpiss in Ravensburg wirtschaftlich bedeutend, erlebten sie nun in Ratzenried einen politischen und sozialen Aufstieg. 

Im Jahr 1500 wurde Jos vom Kaiser Maximilian zum kaiserlichen Vogt von Neuburg am Rhein (bei Hohenems) ernannt, ein Amt, das er bis zu seinem Tod innehatte. In dieser Eigenschaft als Vogt wurde ihm 1500 das Schloss Neu-Monfort bei Götzis für 8 Jahre überlassen, vermutlich deshalb, weil er bei seinem Amt im Rheintal einen standesgemäßen „Zweit“-Wohnsitz in der Nähe benötigte. 1504 erhielt Jos, Vogt von Neuburg, von der Innsbrucker Regierung den Auftrag, 441 Knechte aus den Landschaften Feldkirch, Bludenz und Bregenz und zusätzlich 500 gute Knechte zur Musterung nach Innsbruck zu bringen. Er selbst erhielt für 5 Pferde im Monat pro Pferd je 8 fl. 1511 erhielt Jos vom Kaiser einen weiteren Auftrag, im Allgäu und in Vorarlberg 1000 Landsknechte anzuwerben. 

Auch mit dem Bischof von Konstanz baute Jos Humpiss Beziehungen auf: Er erhielt 1503 einen Weingarten zu Bernang als Bischofslehen, das die Nachkommen bis zum Anfang des 19. Jhs. behielten. So hatten die Humpiss ihren eigenen Wein. Die Verbindungen zum Konstanzer Bischof wurden von den Nachkommen später weiter ausgebaut und mündeten im Amt des Erbkämmerers. 

Am 27.6.1513 erhielt Jos vom Kaiser die Hoch- und Niedergerichtsbarkeit über Siggen, Au, Meggen, Zaun und am 14.9.1514 die Hochgerichtsbarkeit über Merazhofen, Christazhofen, Eisenharz und Deuchelried. Nachdem sich Graf Hug von Montfort darüber beschwerte, stellte der Kaiser einen feierlichen Schutz- und Schirmbrief auf, in welchem sehr deutlich wird, wie dieser finanzielle und materielle Hilfe der Adligen zu lohnen wusste und wie er den Adel gleichzeitig „bei der Stange“ hielt. „Wir Maximilian…. Bekennen, als unser getreuer, lieber Jos von Ratzenried, genannt Huntpiß, unser Vogt zu Neuburg….nochmals gegen uns angespart Leibs- und Guts in aller gehorsamer dinstparkeit gehorsam und willeglich erzeigt und bewysen und er sich des noch hinfüro zu tun erpeut, demnach uns wol gepurt in gnädiger fürsehung zu bedanken. Darauf so haben wir nach zeitiger Rat und gueter Vorbetrachtung als regierender Herr und Landesfürst unsers Haus Österreich den bemelten von Ratzenried mit selbs Leib, Leuten, auch seinem Schloß Ratzenried mit samt desselben Dörfern, Weilern, Höfen und Gütern und aller des Schloß Zugehörung …in unseren Schutz und Schirm genommen……..Darauf soll er und seine Erben uns auch in dem Schloß Ratzenried….Öffnung halten…und uns darein und daraus lassen….“ Der Kaiser bat also, ihm das Schloß Ratzenried bei etwaigem Bedarf zur Verfügung zu stellen und nahm Ratzenried und alle darin Wohnenden in seinen persönlichen Schutz. 

Ein für damalige Zeit außergewöhnliches soziales Engagement verriet Jos, als er 1515 „dem Sondersiechenhaus in Altdorf eine ewige Pfründe“ vermachte, die verbunden war mit der Erlaubnis, von jetzt an “alle Sondersiechen, Lahme und Aussätzige, die im Gezirk und Gericht Rauzenried sitzen, ins Sondersiechenhaus geben zu dürfen.“

Sein Grabstein im Chorraum der Ratzenrieder Kirche ( Höhe 2,22m Breite 1,06m)

1516 wurde Jos durch einen „Schlagfluss“ gelähmt; er starb am 11.2.1523. In seinem Testament hatte er 1508 bestimmt: „So will ich mir yetzo mein begräpt zu Ratzenried in der Kirchen zu Wetzelsried in dem Grab meines abgestorbenen Suns selig mit meinem Leib zu liegen erwöllt haben.“ Der rotmarmorne Grabstein des Jos, vielleicht einer der bedeutendsten Politiker Ratzenrieds, befindet sich heute noch in der Ratzenrieder Kirche und hat folgende Aufschrift: „Als man zalt fur war I V XX III iar am XI tag hornung starb der Edel und vest jost von racenriedt der sell (Seele) gott gnadt.“ Nach einer Quelle sei auf dem Grabstein gestanden: „Anno Domini 1523 den 11. Tag Februarii, Auff Mittwochen vor Valentini, Zwischen der 5. und 6. Stundt, gegen der nacht, Ist gestorben, der Edel unnd vest Joß von Ratzenriedt zue Ratzenriedt, dem Gott gnedig sei.“