Johann Anton Franz von und zu Ratzenried
Von Berthold Büchele
Nachdem der Ravensburger Kaufmann und Bürgermeister Jos Humpiss 1453 das St. Gallische Lehen Ratzenried mit Burg und Höfen gekauft hatte, wurde der Besitz 1498 unter seinen Söhnen Jos und Jacob aufgeteilt. Jos erhielt die alte Burg und baute sie zu einem prächtigen Burgschloss aus, Jacob errichtete im damals noch Wetzelsried genannten Dorf (heute Ratzenried) ein Schloss. Beide begründeten somit die Obere und Untere Schlosslinie, erhielten von Kaiser Maximilian die Privilegien der Hochgerichtsbarkeit und Reichsunmittelbarkeit sowie den Adelstitel. Sie nannten sich seither Freiherren von Ratzenried. Nach dem Aussterben der Oberen Schlosslinie 1647 wurde der Besitz wieder vereinigt.
Während Jos d. Jüngere (+1523) der bedeutendste Vertreter der Oberen Schlosslinie war (seine Biographie s. unter www.ratzenried.de/Berühmte Ratzenrieder) und besondere Beziehungen zum Kaiser hatte, war Johann Anton Franz von und zu Ratzenried wohl der einflussreichste Spross der Unterschlosslinie – besonders im Zusammenhang mit den Fürstbischöfen von Konstanz. .
Johann Anton Franz, der „Frey-Reichs-Hochwohlgebohrene Herr von und zu Ratzenried, Hochfürstlich Bischöflich Constanzischer Erb-Kämmerer und erster Geheimder Conferenzminister, der ohnmittelbarn Freyen Reichs-Ritterschaft in Schwaben des Vereins St. Georgen-Schilds des Cantons Hegau-Allgäu-Bodensee erbettener erster Directiorial-Ritter-Rath und Ausschuss“ wurde am 25.2.1681 im Schloss Ratzenried geboren. In der 25seitigen gedruckten Leichenrede, die nach seinem Tod im Jahr 1766 von einem Pater des Wangener Kapuzinerklosters in hochtrabendem und schwülstigem Stil gehalten wurde, werden einige Details zu seinem Werdegang beschrieben. Schon mit 5 Jahren lernte er in Götzis bei einem geistlichen Herrn Lesen und Schreiben, kam dann an die Jesuitenkollegien in Feldkirch und Mindelheim und studierte schließlich an den Universitäten Freiburg und Straßburg. Er sprach fließend Latein und Französisch und war ein „ausgemachter Weltweiser und tiefsinniger Rechtsgelehrter“, der viele Schriften verfasste. Nachdem er einige Zeit in Frankreich verbrachte hatte, kehrte er im Alter von 19 Jahren nach Deutschland zurück.
In fürstbischöflichen Diensten
Damals wurde der Konstanzer Fürstbischof auf ihn aufmerksam. Das Bistum Konstanz war das größte Bistum in Deutschland und umfasste u.a. die Ostschweiz und (grob gesagt) das heutige Baden-Württemberg. Als Fürstbischof war er einerseits Geistlicher und Bischof, andererseits mächtiger Fürst mit entsprechendem Hofstaat. In diesem mächtigen Hofstatt stieg Johann Anton Franz zu hohen Ämtern auf: Er war Hochfürstlicher Hofmarschall, später Oberhofmarschall und geheimer Rat und Konferenzminister; war für die Hofhaltung und für Personenangelegenheiten zuständig, hatte Reisen und Jagden, Wahlen und Weihen der Bischöfe und Empfänge von geistlichen und weltlichen Fürsten zu organisieren. Seiner Initiative war auch der Wiederaufbau von Stiftsgebäude und Kirche St. Johann in Konstanz nach dem Brand 1728 zu verdanken. Mit größter Sorgfalt und Genauigkeit verwaltete er die Besitzungen des Konstanzer Stifts. Seit 1590 hatten die Freiherren von Ratzenried auch das Amt des Erbkämmerers inne.
Als Premierminister des Bischofs war er in diplomatischen Missionen tätig, sei es als bischöflicher Gesandter oder als Beauftragter des Schwäbischen Kreises bei der Wahl Kaiser Karls VII. in Frankfurt oder als Botschafter des Bistums Konstanz bei der Schweiz.
Außerdem war er Obervogt auf der Reichenau und dort u.a. als Vermittler zwischen Kloster und Bischof tätig. Als Konservator des Frauenstifts Lindau setzte er sich für die Wahl der Maria Anna von Gemmingen als Fürstäbtissin ein.
Ritter in der Reichritterschaft
Die reichsunmittelbaren Adligen hatten sich seit dem 15. Jh. in verschiedenen reichsunmittelbaren Reichskreisen zusammengeschlossen, die niemandem untertan waren außer dem Kaiser: in einem rheinischen, fränkischen und schwäbischen Ritterkreis. Jeder Reichskreis bestand aus verschiedenen Kantonen: Der Schwäbische Ritterkreis untergliederte sich in die Kantone Donau, Hegau-Allgäu-Bodensee, Neckar-Schwarzwald, Kocher und Kraichgau. Da die zusammengeschlossenen Adligen überwiegend in regionalen Zusammenhängen Politik machten, heirateten, Besitz besaßen etc., war der Kanton die weitaus wichtigste Ebene in der Organisation der Reichsritterschaft.
Der Ritterkanton Hegau-Allgäu-Bodensee entstand im 15. Jahrhundert, möglicherweise im Zusammenhang mit dem loseren Zusammenschluss schwäbischer Adliger im St. Jörgenschild. Der Ritterkanton hatte zwei Bezirke oder „Quartiere“: das Quartier Hegau mit Sitz in Radolfzell und das Quartier Allgäu-Bodensee mit Sitz in Wangen (dort existiert auch heute noch das sog. Ritterhaus).
Somit wird klar, dass Johann Anton Franz neben seiner Funktion beim Fürstbischof auch eine führende Rolle als „erster Directiorial-Ritter-Rath und Ausschuss in der ohnmittelbarn Freyen Reichs-Ritterschaft in Schwaben und im Verein St. Georgen-Schilds des Cantons Hegau-Allgäu-Bodensee“ spielte. Er war zuständig für die Aufnahme von Adelsfamilien in die Reichsritterschaft und prüfte die Attestate der betreffenden Familien, war für die Verwaltung von Vormundschaften und Testamentsvollstreckungen zuständig, für Stiftungen, Straßenbau, für Wahlen innerhalb des Kantons und die Finanzen. Als kaiserlicher Kommissar schlichtete er zahlreiche Rechtsstreitigkeiten, die den Ritterkanton betrafen (zahlreiche Dokumente sind im Ratzenrieder im fürstlichen Archiv in Schloss Zeil).
Wohnorte
Bei all diesen Verpflichtungen wohnte er kaum in Ratzenried, sondern im sog. Ratzenriedischen Gut in Konstanz (an der Rheinmündung, in der Nähe des ehem. Klosters Petershausen ein Bild existiert noch) oder auf der Insel Reichenau. Die Insel wurde so sehr zu seiner Heimat, dass dort auch Familienangehörige begraben wurden. Auf der Insel existiert noch der sog. Ratzenrieder Hof (er heißt heute noch so; Obere Rheinstraße 46/48), den sein Sohn Franz Karl Anton, Domherr in Konstanz, gekauft hatte.
Während der Abwesenheit des Ratzenrieder Schlossherrn besorgte ein Vogt die Verwaltung der reichsunmittelbaren Herrschaft Ratzenried, und so wurde Ratzenried zum „Obervogteyamt“. Trotzdem wohnte er immer wieder in Ratzenried. 1734 ordnete er an, dass „der ordinari Schiffmann 18 Eimer Wein (ca. 1000 Liter) nach Lindau führt und von da weiters nach Ratzenried zu meiner Notdurfft und eigen Gebrauch.“ Weil der Transport verschiedene Kleinstaaten durchqueren musste, wurden „alle und jede Zoller hiermit dienst- und freundlich ersucht, zu Folg der von Ihro Kön. Kaiserl. auch königl.–katholischen Mayestät und der gesamten Reichsritterschaft in Schwaben allergnädigst bewilligter Zohlsbefreyung solchen Wein zohlfrey passiren zu lassen.“
1732 verlangte der Kaiser genaue Rechenschaft über die Reichslehen von Ratzenried, die Niedere und Hohe Gerichtsbarkeit. Johann Anton Franz entschuldigte sich, dass er diese Gerichtsbarkeit zu wenig ausnütze und gab an, dass sie ihn mehr koste als er Einnahmen daraus habe (B. Büchele, Ratzenried- eine Allgäuer Heimatgeschichte, II, 412 f.).
Während seiner Aufenthalte in Ratzenried traf er wichtige Entscheidungen: für den Bau des dortigen Gerichtshauses (heute Wirtschaft zum Ochsen) und der Neumühle (Mahlmühle mit 7 Gängen samt Säge- und Stampfmühle), für die Renovierung und Stuckierung der Kirche, den Anbau und die Barockisierung des Schlosses und den Bau des sog. Neubaus“, d.h. des Ausgedinghauses für die nicht verheirateten Töchter der jeweiligen Ratzenrieder Adelsfamilien (Haus gegenüber des Schlosses).
Johann Anton Franz war verheiratet mit Maria Katharina Freyin Schenk von Stauffenberg. Das gemeinsame Wappen befindet sich noch über dem Eingang zur Wirtschaft zum Ochsen und in der ehemaligen Gastwirtschaft in der Neumühle. Das Paar heiratete am 8.2.1711 und hatte mehrere Kinder: 4 Töchter, die z.T. früh starben oder Nonnen wurden, und 3 Söhne: Franz Carl Anton, Domkapitular in Augsburg und Konstanz (1718-1767), J.Philipp Jacob (als Kind auf der Reichenau gestorben) und J.Philipp Joseph (1720-1783), der Erbe der Herrschaft Ratzenried und sein Nachfolger in den Bischöflichen Ämtern.
Johann Anton Franz starb am 31.8. 1766 in seinem Schoss in Ratzenried im stolzen Alter von 85 Jahren. Der Wangener Kapuzinerpater, sein Beichtvater, beschreibt ihn als „gottesfürchtigen und frommen Menschen“, der jeden Tag die Hl. Messe besucht habe, seine Krankheit, ein 13 Jahre währendes Gallenleiden mit großen Schmerzen durch Gallensteine, „in frommer Ergebung“ ertragen habe und dass sein Leben eine Vorbereitung auf die Sterbestunde gewesen sei.
In der Leichenrede heißt es, er habe sich „unermüdlich für das allgemeine Wohl des Staates eingesetzt
- als ein Hofherr für das Wohl des Hochfürstl. Bischöfl, Hochstifts
- als ein Ritter für das Wohl der Reichsritterschaft
- als Vater für das Wohl seines Hochfreyherrlichen Hauses.“
Der Pater tröstete die Trauergemeinde:
„Ach, weinet, treu-sehende Augen! Da auch die Kerzen und Fackeln dieses Trauergerüsts sich in so viel Thränen ergiessen, in wie viel Tropfen sie durch das Feuer zerschmelzen….Billich stehen Ihnen die rollende Thränen in den Augen und beströhmen die erblasste Wangen so düstere Perlen des Traurens!“
Am Ende der Trauerrede steht, im Text mit römischen Buchstaben als Chronogramm versteckt, die Jahreszahl seines Todes (I = 1, V = 5, L = 50, D = 500):
„Vnser erLöser gnaDe Dessen VnD aLLer gLaVbIgen seeLen.“
Sein Grab befindet sich im Chor der Ratzenrieder Kirche, sein prächtiger barocker Grabstein im oberen Bereich der rechten (südlichen) Chorwand. Darauf sind zu sehen:
Oben in der Mitte das farbig gefasste Ratzenrieder Wappen mit Helmzier, flankiert von 2 weinenden Engeln;
Links die Wappen von Ratzenried sowie diejenigen verwandter Familien: von Stein, von Stauffenberg, von Speth;
Rechts die Wappen von Giel (von Gielsberg), von Hornstein, von Castellmaur, von Rietheim.