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Ratzenrieder Geschichte - ein Überblick

Eines der Bronzebeile aus Valleray (ca. 11 cm lang)

Die ältesten, "greifbaren" Zeugnisse der Ratzenrieder Geschichte sind rund 3500 Jahre alt.

Die Funde in und um Valleray (westlich von Ratzenried) sind verhältnismäßig zahlreich und besonders aussagekräftig. Bei verschiedenen Ausgrabungen auf dem „Kreuzberg“ beim Hof Valleray in der Zeit um 1830,1850 und 1940 fand man 2 Bronzebeile, ein Sonnenrad aus Bronze, Reste von Töpferwaren bzw. Urnen sowie „kleine Gebilde aus regelmäßig zusammengesetzten Steinen nach Art der bekannten Dolmen mit dazwischen befindlicher Asche“. Die Scherben und das Sonnenrad sind verschollen. Letzteres wurde im 1. Weltkrieg eingeschmolzen. Lediglich die Bronzebeile sind erhalten; sie befinden sich im Museum in Wangen. Sie werden der mittleren bis späten Bronzezeit zugeordnet, die Aschereste deuten auf die Urnenfelderzeit hin. Deshalb könnten diese Objekte aus verschiedenen Epochen stammen und könnte das Grab mit den Bronzebeilen später nochmals benützt worden sein. In jedem Fall spricht bei den Bronzebeilen als Grabbeigaben vieles dafür, dass auf dem Hügel ein nicht unbedeutender Toter bestattet wurde. Deshalb wurde auch ein markanter Hügel als Grab ausgesucht.

 

Spiralarmreif, Ring und Messer

In der Nähe von Valleray fand man ein weiteres Bronzebeil und einen Spiralarmreif, einen Ring und ein Messer aus Bronze. Dieses 3. Bronzebeil ist verschollen, die anderen Bronzeobjekte sind ebenfalls im Wangener Museum zu besichtigen. 

Leider wurden diese Grabungen in einer Zeit gemacht, als die Archäologie noch kaum entwickelt war. Doch sind die noch erhaltenen Funde immerhin wertvolle und interessante Dokumente unserer Geschichte und unserer Vorfahren. 

1932 in Ratzenried Fund einer römischen Münze von Kaiser Augustus ( 7 v. Chr.)

Auch die Anwesenheit der Kelten (ca. 500 v. Chr.) und der Römer (ca. 200 n. Chr.) in Ratzenried läßt sich durch Funde dokumentieren.

Nachdem die Alemannen die Römer aus unserem Gebiet vertrieben hatten, dauerte es noch bis zum 7./8. Jahrhundert, bis alemannische Bauern hier angesiedelt wurden. Vermutlich im 8. oder 9. Jahrhundert wurde ein Alemanne namens Razo an der Stelle des heutigen Sechshöf seßhaft und gab der Rodung den Namen "Razenriet". Zu gleicher Zeit gründete ein anderer Alemanne namens Ottram die Siedlung Ottramsried, die sich vermutlich an der Stelle des heutigen Ratzenried befand. Die Siedlung wurde im 13. Jahrhundert zu "Ried" umbenannt, im 14. Jahrhundert zu Wetzelsried und trägt erst seit dem 17. Jahrhundert ihren heutigen Namen, während die alte Siedlung Ratzenried zu Sechshöf umbenannt wurde. Auch die Siedlungen des Alphart (Alperts) und Arto (Artisberg) gehen vermutlich auf diese Zeit des 9. Jahrhunderts zurück.

Burg Ratzenried

Wie vielfach auch andernorts, so schenkten Razo und Ottram oder deren Nachkommen ihre Höfe dem Kloster St. Gallen. Durch den weitverzweigten Besitz des Klosters wurde es im Laufe der Zeit nötig, Verwalter bzw. Dienstmannen zu bestellen. Die Ratzenrieder Dienstmannen, die vielleicht Nachkommen der Ortsgründer waren, stiegen zum Niederadel (.... von Ratzenried) auf und bauten sich im 12. Jahrhundert eine Burg bei ihrem Dorf Ratzenried (=Sechshöf), dort, wo sich heute die Burgruine befindet.

Dieser alte Ratzenrieder Ortsadel besaß ein Wappen, nämlich eine rote Sonne mit blauen Strahlen auf weißem Grund (siehe unten als Element im Humpißwappen). In der ersten überlieferten Urkunde, datiert zwischen 1145 und 1180, wird ein Conrad "von Ratzenriet" erwähnt. Diesem wird auch der erste Bau der Burg Ratzenried zugeschrieben. Mit Heinrich von Ratzenried starb die Linie um 1280 aus.

Das St. Gallische Lehen gelangte darauf in die Hände einer Familie Wezel, die bis dato als Keller (Verwalter) für das heutige Dorf Ratzenried im Oberhof (heute Familie Forster) wohnten. Sie wurden Nachfolger des Ortsadels und nannten sich "Wezel von Ratzenried". Um eine aussagekräftiges (=sprechendes) Wappen zu erstellen, wurde der Name Wezel letztendlich in Esel abgeändert. Der einzige aus diesem Geschlecht mit Vornamen Bekannte hieß Ludwig. Dieser Ludwig der Esel von Ratzenried (geb. ca. 1260, gestorben ca. 1335) war der Stifter eines dem Hl. Epimachus geweihten, 1288 aus Stein gebauten Kirchenneubaus in Ratzenried. Sein Grabstein befand sich viele Jahre an der Außenseite der Kirche und wurde vor wenigen Jahren in das Kircheninnere umgesetzt.

Danach kam das Lehen an die Adelsfamilien der Unrain, Raper, Molbrechtshausen, Stegen, Sürgen, Praßberg, Königsegg, Stüdlin und Hirnheim, bis es 1453 vom reichen Ravensburger Bürgermeister Jos Humpiß aufgekauft wurde.

Die Humpiß waren Begründer der Ravensburger Handelsgesellschaft gewesen und hatten sich großen Reichtum durch den europaweiten Handel mit Allgäuer Leinwand erworben. Seit dem 15. Jahrhundert gingen sie dazu über, ihr Geld in Grundbesitz anzulegen, in Burgen, Höfen und Mühlen des Allgäus. Auf diese Weise erwarben sie nicht nur das St. Gallische Lehen in Ratzenried, sondern auch Besitz in Arnsberg, Brochenzell, Pfaffenweiler, Amtzell, Altmannshofen, Merazhofen, Siggen u.a.

Jos Humpiß erhielt schon 1454 von Kaiser Friedrich III die Niedere Gerichtsbarkeit und schuf damit den Grundstein für die reichsunmittelbare Herrschaft Ratzenried, für eine Art Kleinstaat, in dem über dem Herrn von Ratzenried nur der Kaiser in Wien als höchste Instanz stand.

Schloss Ratzenried
Das heutige Schloss, erbaut von 1498 bis 1502

Die Söhne Jacob und Jos wurden 1495 von Kaiser Maximilian mit der Hohen Gerichtsbarkeit belehnt und erhielten das Privileg der Befreiung von fremden Gerichten. 1498 teilten die Brüder ihren Besitz in 2 Hälften: Jos erhielt die Ratzenrieder Hälfte mit der alten Burg, Jacob die Wetzelsrieder Hälfte. Jos Humpiß baute die alte Burg Ratzenried zur größten Dienstmannenburg des Allgäus aus, während Jacob sich im Dorf Wetzelsried von 1498 bis 1502 ein eigenes Schloß (das "untere", heutige Schloß) erbaute.

Wappen der Ratzenrieder Humpiß

Um 1500 beantragten die Brüder beim Kaiser eine Wappen- und Namensänderung: Seither fügten sie den drei weißen Hunden auf schwarzem Feld, dem Kennzeichen der "weißen" (Ratzenrieder) Linie der Humpiß, die Sonne hinzu, das Wappen des alten Ratzenrieder Ortsadels (siehe oben), und seither nannten sie sich "von Ratzenried".

 

Die Teilung der Herrschaft brachte es mit sich, daß alle Höfe, Leibeigenen und Rechte geteilt wurden und sogar zwei verschiedene Wirtschaften für die jeweiligen Untertanen errichtet wurden. Beide Linien versuchten im Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts, durch Tausch und Kauf von Höfen und Leibeigenen ein geschlossenes Herrschaftsgebiet aufzubauen. Seither gehörten Schwenden, Buchen, Berg, Rehmen und Zimmerberg zur Herrschaft Ratzenried.

Während beide Ratzenrieder Schlösser im Bauernkrieg verschont blieben, wurden sie im 30-jährigen Krieg (1632) zerstört und mit ihnen die Kirche und viele Höfe. 1645 starb die Oberschloßlinie aus, weshalb das Obere Schloß nicht mehr aufgebaut wurde und bis heute Ruine blieb. Das Untere Schloß dagegen wurde wiederhergestellt. Die Nachkommen der Unterschloßlinie stiegen im 18. Jahrhundert zu bedeutenden politischen Ämtern auf, vor allem in Diensten der Fürstbischöfe von Konstanz.

Die politischen Umwälzungen im Gefolge der französischen Revolution, der Napoleonischen Kriege und des Zusammenbruchs des Kaiserreichs brachten es mit sich, daß die Herrschaft Ratzenried 1806 zum Königreich Bayern und 1810 zum Königreich Württemberg kam und alle Rechte der Staatlichkeit verlor. Das alte St. Gallische Lehen gehörte jetzt dem König von Württemberg und wurde von diesem an die Herren von Ratzenried verliehen. Aus der Herrschaft Ratzenried wurde 1820 die Gemeinde Ratzenried.

Grabstein von Franz Conrad, mit ihm endet die Humpißlinie von Ratzenried, daher das gestürzte Wappen

1813 starb der letzte Ratzenrieder Humpiß-Nachkomme, Freiherr Franz Konrad von Ratzenried, nachdem er 1811 seinen Besitz samt Schloß an seinen Neffen, den Grafen von Beroldingen, verkauft hatte. Die Grafen von Beroldingen hatten bedeutende Ämter inne, u.a. das des Außenministers des Königreichs Württemberg. 1848/49 erfolgte durch verschiedene Gesetze die sog. "Bauernbefreiung", durch die die Grund-, Leib- und Zehntherrschaft aufgelöst wurden und die Bauern nach vielen Jahrhunderten endlich frei waren. Die Herren von Ratzenried besaßen nur noch ihren Privatbesitz.
Durch Heirat der letzten Gräfin von Beroldingen, Maria Immaculata, mit Graf Anton von Waldburg-Zeil im Jahre 1902 kam der Ratzenrieder Adelsbesitz an das Haus Waldburg-Zeil. So wurde Graf Alois von Waldburg-Zeil ein indirekter Nachfolger des uralten Ratzenrieder Ortsadels. Das Schloß wurde seit dem Tod des Grafen Anton (1949) zunächst als Kindererholungsheim genutzt. Seit 1975 gehört es Norbert Güthling, der hier im neu gegründeten Humboldt-Institut Deutschunterricht für Ausländer anbietet.

Seit 1972 gehört Ratzenried zusammen mit den ehemaligen Gemeinden Christazhofen, Eglofs, Eisenharz, Göttlishofen und Siggen zur Landgemeinde Argenbühl.

Text: Berthold Büchele

Bilder: Hans Knöpfler

 

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