Gerichtsstube im Ochsen

Ein weiterer Meilenstein in der geschichtlichen Dokumentation von Ratzenried ist im Gasthaus zum Ochsen entstanden. Finanziert von der Edelweißbrauerei Farny, haben Mitglieder des Heimatvereins Ratzenried im Gasthof zum Ochsen eine Gerichtsstube eingerichtet, um die Geschichte dieses Hauses wieder lebendig werden zu lassen. An dieser Stelle wurde um 1460 ein Gerichtshaus gebaut, das zusätzlich Gast- und Tanzhaus war. Das Gerichtshaus war nötig geworden, weil die Herrschaftsinhaber von Ratzenried, die Humpiss aus Ravensburg, vom Kaiser 1454 die Niedere und 1495 die Hohe Gerichtsbarkeit verliehen bekommen hatten, ein Privileg, das die Ratzenrieder Herren zur Bildung ihres „Kleinstaats“ benötigten und bis 1806 immer wieder erneuert bekamen.

Ein reicher Fundus von Dokumenten dokumentiert dieses interessante Kapitel der Ratzenrieder Geschichte und ist in seiner Detailfülle auch von überregionalem Interesse. In der Gerichtsstube gibt es Kaiserurkunden zu bestaunen, die die Gerichtsprivilegien durch die Kaiser bestätigen. Historische Karten bilden den Umfang der Ratzenrieder Herrschaft ab und zeigen, wie wichtig die Abgrenzung des Kleinstaats Ratzenried war. Der Gerichtsstein, der in Ratzenried noch erhalten ist, kündet von der uralten Sitte, im Freien bei der Dorflinde Gericht zu halten.

 

Auch der Eid der Ratzenrieder Richter ist überliefert. Bilder von mittelalterlichen Gerichtsversammlungen lassen die Atmosphäre eines Gerichtshauses wieder aufleben.

Halsgeige für Zankhähne

Interessant sind die Statuten der Herrschaft mit einem umfangreichen Bußgeldkatalog, gleichzeitig amüsant und teilweise sogar aktuell. Die Kleiderordnung der Herrschaft Ratzenried gibt einen Einblick in die Bevormundung der Untertanen.  Einfachere Vergehen wurden mit dem Pranger bestraft. Dieser Pranger ist noch erhalten und ist an der Außenwand des Gasthauses zu bestaunen. Zur Illustration sind verschiedene Prangergeräte ausgestellt; sie können sogar – falls Bedarf ist – angewandt und ausprobiert werden. Da gibt es eine Halsgeige für streitsüchtige Menschen, einen Schandkragen für ungebührlich Gekleidete, einen Schandrosenkanz für den, der beim Gottesdienst eingeschlafen ist, eine Falschspielerkette für Betrüger beim Kartenspiel und eine Schandmaske für üble Lästermäuler.

 

Da die Herrschaft Ratzenried die Hochgerichtsbarkeit hatte, gab es dort auch einen Scharfrichter. Bilder des Ratzenrieder Galgens und eines Richtschwertes, die Tarife, die der Scharfrichter für seine Tätigkeiten erhielt, sowie Bilder einzelner Hinrichtungsarten belegen diese besondere Gerichtsbarkeit. Verschiedene Schautafeln berichten von Gerichtsturteilen in Ratzenried, von schweren Kriminalfällen und Todesurteilen, von Schlägereien und Vergehen im Gasthaus zum Ochsen, von „ungebührlichem Benehmen“ auf der Straße, in der Kirche oder in Beziehung auf das andere Geschlecht.

Schließlich versetzt die Replika einer Ritterrüstung in der Gerichtsstube, an deren Restaurierung der Heimatverein mitwirkte, den Besucher der Gerichtsstube optisch eindrucksvoll ins Mittelalter.

Die Idee zu dieser Gerichtsstube stammte vom örtlichen Heimatforscher und zweiten Vereinsvorsitzenden Berthold Büchele. Er erforschte die Geschichte der Ratzenrieder Gerichtsbarkeit und fasste das Ergebnis in einer Broschüre zusammen, beschaffte alle historischen Dokumente wie etwa historische Karten, Kaiser-Urkunden, Gerichtsurteile, Strafordnung, Bilder, Prangergeräte oder Ritterrüstung.

Wer sich noch mehr über die Gerichtsbarkeit in Ratzenried informieren will, kann im Gasthaus eine von Berthold Büchele verfasste Broschüre erwerben.

Gerichte-Stube

Die Gerichtsstube ist aber nicht nur eine Museum, sondern sie dient auch als Nebenraum des Gasthauses, wo deftige Gerichte nach mittelalterlicher Art serviert werden. So wird die Gerichtsstube quasi zur „Gerichte-Stube“. Statt des Scharfrichters gibt es daher hier nur noch manch scharfe Gerichte zu fürchten.