Der Kreuzweg auf dem Friedhof von Ratzenried

von Ursula Rückgauer
Landratsamt Ravensburg
Kreisbeauftragte für Denkmalpflege

Der Friedhof in Ratzenried befand sich ursprünglich wie in den meisten Gemeinden innerhalb des Ortes rund um die Kirche. Doch Ende des 19. Jh. wurde er wie vielerorts aufgrund der beengten Platzverhältnisse und zur Verbesserung der Hygiene weit außerhalb nördlich des Dorfes als ummauertes Viereck angelegt. Am 2. Dezember 1894 fand die Weihe dieses neuen Gottesackers statt. 1904 erhielt der Friedhof seine charakteristische Fernwirkung durch den Bau der Gruftkapelle an die nördliche Umfassungsmauer. Der damals sehr bekannte Stuttgarter Kirchenarchitekt Joseph Cades fertigte den Entwurf der Kapelle für die Grafen von Beroldingen. In Sichtweite des gräflichen Schlosses wurde für die Patronatsherren von Ratzenried eine Grablege in neuromanischen Stil erbaut: Es handelt sich dabei um einen hoch aufragenden Zentralbau mit kreuzförmigen Grundriss und eingezogener halbrunder Apsis, dessen gedrungener achteckiger Vierungsturm schon von weitem sichtbar ist. 

Eine besondere Rarität bekam der Friedhof dann sechs Jahre später: Am 25. September 1910 wurde in Ratzenried ein Kreuzweg eingeweiht, der in unserer Region vermutlich einzigartig ist. Eine Münchner Firma fertigte ihn nach dem Entwurf des Münchner Künstlers und Architekten Hans Müller, der ihn auch nach der Herstellung künstlerisch überarbeitete. Dabei handelt es sich um 14 Stationsmonumente aus Kunststein, die gleichzeitig als Grabdenkmale dienen. Diese ungewöhnliche Doppelfunktion war von Anfang an geplant und war Teil der künstlerischen Konzeption des Prozessionswegs.

 

Die Doppelfunktion wurde von Seiten der Gemeinde in Abstimmung mit der Denkmalpflege dahingehend aufgehoben, dass eine Wiederverwendung bei Neubelegung der Gräber zum Schutz der denkmalgeschützten Stehlen nicht mehr erfolgen soll. Zuviel wurde in der Vergangenheit durch das Anbringen der Schrift den Steinen verändert und eingegriffen.

 

In den Kunststein der Kreuzwegstelen sind im oberen Viertel an der Stirnseite Reliefdarstellungen des Leidensweg Christi eingearbeitet, die fast die ganze Breite einnehmen. Die Reliefs waren ursprünglich an einzelnen Teilen vergoldet. Der Hintergrund wurde mit einem blauen Glasmosaik belegt, was die Reliefs sehr wirkungsvoll hervorhob. Das Glasmosaik konnte sich bis heute mit kleineren Schäden erhalten, wohingegen die Vergoldungen leider komplett verschwunden sind. Unter den Reliefdarstellungen wurden die Bezeichnungen der einzelnen Stationen eingemeißelt. Die Schriftzeichen waren in einem braunroten Farbton gefasst. Die untere Hälfte der Kunststeinstelen ist den Grabinschriften vorbehalten, im Sockel sind Weihwasserschälchen eingearbeitet. Nimibierte Metallkreuze bekrönen die Stelen als zusätzlichen Akzent. 

Die Stelen wurden rechts und links von der gräflichen Gruftkapelle, an den Seitenwegen des Friedhofs entlang der Umfassungsmauer aufgestellt, so dass sich eine Grabreihe zwischen der Mauer und den Kreuzwegstationen befindet. In dieser Grabreihe befinden sich auch die den Kreuzwegstelen zugeordneten Gräber. Mit dieser symmetrischen Anordnung beziehen sich die Kreuzwegstationen unmittelbar auf das romanische Bauwerk und gliedern den Friedhof auf harmonische Weise.

Der Argenbote berichtet am 29.10.1910 in seinem Bericht anlässlich der Einweihung des Kreuzweges: „Der Kreuzweg mit seinem originellen Doppelzweck ist einer Besichtigung wert. Die Stationsgräber sind zu einem größeren Teil bereits vergeben. 

Friedhofskapelle mit Kirche und Schloss

Obwohl die Denkmalliste für den Landkreis Ravensburg bereits Ende der 1970er Jahre erstellt wurde, wurde der Bedeutung der herausragenden Kreuzwegstationen erst im Jahre 2003 durch die Denkmalpflege Rechnung getragen. Damals wurde nicht nur seine Denkmaleigenschaft festgestellt, sondern der Friedhof insgesamt mit seiner architektonisch reizvollen Gruftkapelle und den Kreuzwegstationen mit ihrer Doppelfunktion als Sachgesamtheit aus wissenschaftlichen, künstlerischen und heimatgeschichtlichen Gründen unter Denkmalschutz gestellt, an deren Erhaltung insbesondere wegen seines dokumentarischen und exemplarischen Wertes ein öffentliches Interesse besteht.

 

Bilder: Hans Knöpfler